Seit einem Jahr arbeitet Ergotherapeutin Heike Christmann mit dem Neofect Smart Glove bei orthopädischen, traumatologischen und rheumatischen Behandlungsschwerpunkten. Hier schildert sie ihre Erfahrungen mit dem digital gestützten Therapiesystem.
Digitale Übungsprogramme als Ergänzung zur Manualtherapie
Digitale Übungsprogramme wie sie im neurologischen Arbeitsfeld schon lange Usus sind, eignen sich aus unserer Sicht ebenso in der orthopädischen, traumatologischen und rheumatologischen Handtherapie. Der „Neofect Smart Glove“ kann sinnvoll in handtherapeutische Interventionen integriert werden, ohne wirksame manualtherapeutische und übende Behandlungsmaßnahmen zu vernachlässigen.
Der „Smart Glove“ nutzt die Prinzipien der neuronalen Plastizität im Sinne eines Biofeedbackverfahrens. Die am Bildschirm dargebotenen Alltagsbewegungen regen visuelle und handmotorische Funktionsfähigkeiten zunächst durch Beobachtung und anschließend im Zuge der aktiven Durchführung an.
Ergebnismessung
Die Ergebnismessung des ausgeführten Bewegungsablaufs erfolgt über eine Art Handschuh aus Silikonbändern, der über den Handrücken gelegt und mit wenigen Handgriffen befestigt wird. Die Patient:innen beschrieben das Material als leicht und geschmeidig, kaum spürbar und in keiner Weise einschränkend. Die Messwerte des auf dem Handrücken befindlichen Sensors werden in einer graphischen Darstellung visualisiert. Dies unterstützt die Behandlungsfortschritte sowohl in der Reflexion mit Patient:innen als auch die Dokumentation gegenüber den verordnenden Ärzt:innen.
Verschiedene Therapieansätze
Mit dem breiten Modulangebot soll die beschwerdefreie Bewegungserweiterung von Handgelenk und Finger erreicht werden. Hierzu können verschiedene Therapieansätze gewählt werden. Die zu beübende Bewegung wird zunächst am Bildschirm demonstriert und anschließend aktiv umgesetzt. Das erreichte passive wie aktive Bewegungsausmaß (PROM, AROM) wird über den „Smart Glove“ gemessen und dient als therapeutische Grundlage für die zeitliche und schweregradbezogene Festlegung der Übungsanforderung.
Das ausgewählte Handgelenks- bzw. Fingerbewegungsausmaß kann während einer laufenden Übungssequenz jederzeit adaptiert werden – ohne den Ablauf der Übung zu stören oder unterbrechen zu müssen. Das zu erreichende Bewegungsausmaß wird größtenteils in Form visuell reizarmer Module trainiert. Akustische Signale können ausgeschaltet werden. Dazu können zahlreiche Module ausgesucht werden, die entweder gleichmäßig-wiederholende, koordinative oder reaktive Bewegungsabläufe beinhalten.
Motorische Funktionsübungen und kognitive Aspekte kombiniert
Komplexere Module hingegen kombinieren motorische Funktionsübungen mit kognitiven Aspekten. Einige beinhalten Effekte des visuellen (Objekt-)Trackings. So kann beispielsweise die Pro-/Supination im Handgelenk als selektiv beübte motorische Handlung durch hinzukommende Anforderungen wie Aufmerksamkeitsaspekte, Gedächtnisleistungen, der räumlichen sowie zeitlichen Orientierungsfähigkeit, der Form- und Farberkennung u. v. m. verstärkt beübt werden.
Andere Module fordern stärker die visuellen Komponenten bzw. Augenbewegungen im Zuge einer auszuführenden Hand- oder Fingerbewegung heraus. Diese Module eignen sich insbesondere für Patient:innen, die bereits gute motorische und somatosensible Fortschritte gemacht haben oder sich hinsichtlich ihrer Beweglichkeit noch unsicher fühlen.
Alltagsbezogene und kreativ-spielerische Übungsmodule
Die Module sind teils alltagsbezogen, teils kreativ-spielerisch, aber jederzeit unkompliziert dargestellt. Innerhalb einer Trainingssequenz kann eine bestimmte Bewegung differenziert geübt werden. Das Modul „Tennis“ bspw. fördert die schwerkraftunabhängige Handgelenksextension/-flexion, während ein Anheben und Beugen des Handgelenks unter Einbezug der Schwerkraft in dem Modul „Zaun streichen“ forciert wird. Die Anleitung ist erwachsenengerecht formuliert. Die Patient:innen konnten sich aus unserer Erfahrung gut darauf einlassen, in eine Rolle passend zur Übung schlüpfen (z. B. Chefkoch, Sommelier, Feuerwehr, Sportler:in).
Therapeutische Kreativität erwünscht
Ebenso ist die therapeutische Kreativität gefordert. Unter Anderem ist es möglich, eine bestimmte Übung, die gemäß Manual für eine Handgelenksbeugung entwickelt wurde, auf die Flexion in einem der Fingergelenke umzusetzen. Dies entspricht der Prämisse: „Der Smart Glove misst, was er messen soll“. Es kommt auf den therapeutischen Effekt an, der erzielt werden soll.
In unserem nunmehr fast einjährigen handtherapeutischen Einsatz des „Neofect Smart Glove“ haben wir Patient:innen mit motorischen als auch somatosensiblen Einschränkungen der Hand u. a. bei Zustand nach Operationen, Teilamputation der Finger, Sehnendurchtrennungen, und -entzündungen, peripheren Nervenschädigungen, rheumatischen Erkrankungen und bei CRPS dieses auf dem Biofeedback basierende Therapiesystem angeboten. Die Patient:innen haben den „Smart Glove“ nicht nur gerne als Aufwärmübung genutzt, sondern auch als abschließendes Training innerhalb der Behandlungssequenz.
Fortschritte und sichtbare Verbesserungen motivieren
Die Aktivitätsdurchführung am Bildschirm vermittelt ein alltagsnahes positiv besetztes Feedback. Die Ergebnismessungen der Übungssequenzen zeigen Fortschritte mit der geschädigten Hand auf, weshalb insbesondere Patient:innen, die Verbesserungen nicht gut wahrnehmen können, motiviert werden.
Häufig war eine schmerzfrei erweiterte Gelenkbeweglichkeit erzielbar. Bewegungen, die subjektiv nicht möglich erschienen, konnten zum Erstaunen der Patient:innen ausgeführt werden. PC-Kenntnisse spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Auch der Einsatz des „Smart Glove“ bei einer älteren Patientin mit muttersprachlich-bedingten Verständigungsschwierigkeiten war weitgehend problemlos und im Ergebnis zielführend.
Altersunabhängige Akzeptanz am spielerischen Lernen
Das mit den pc-gestützten Üben einhergehende mentale Erlebnis wurde von fast allen Patient:innen mit positivem Erleben belegt. Dabei bestand eine altersunabhängige Akzeptanz am spielerischen Lernen durch ansprechende Übungen, die mit Alltagsaktivitäten zu tun haben. Die mit dem Therapiesystem beübte Bewegung haben wir stets nochmal praktisch umgesetzt. Als Beispiele seien hier Module wie „Umblättern“, „Dart spielen“ oder „Zitrone auspressen“ genannt.
Die Handhabung des „Smart Glove“ ist in einem Manual nachvollziehbar beschrieben. Es ist empfehlenswert, sich die Zeit zu nehmen, sukzessive alle Module selbst auszuprobieren und damit der therapeutischen Fantasie in der Gestaltung der Behandlung, Raum zu geben.
Neofect Smart Glove Erfahrungen: Fazit
Im Rückblick der letzten 12 Monate können wir im Zusammenhang mit der Behandlung von orthopädischen, traumatologischen und rheumatischen Behandlungsschwerpunkten sagen:
Entsprechend unserer Klientel vom jugendlichen bis ins hohe Alter kann der „Neofect Smart Glove“ effektiv eingesetzt werden.
Die Übungen sind innerhalb einer Therapieeinheit individuell einsetzbar und ergänzen aus unserer Sicht effektiv die klassischen handtherapeutischen Behandlungsmaßnahmen in der Ergotherapie.
Über die Autorin
Heike Christmann arbeitet als Ergotherapeutin in der neurologischen und orthopädischen Rehabilitation sowie mit Zusatzqualifikation als zertifizierte Handtherapeutin (AfH) in einer niedergelassenen Praxis. 2019 folgte die Selbständigkeit mit Schwerpunkt der Handtherapie. Honorarkraft an der Schule für Ergotherapie des LVR Düren für die Module der Orthopädie und Handtherapie. Heike Christmann leitet seit 2020 die DAHTH-Regionalgruppe Rheinland.
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